Diskurs I
25. September 2011
Am 7. Tag war Ruhe. Endlich
Der biblische Schöpfungsbericht sieht die besondere Verantwortung des Menschen für die ihm anvertraute Schöpfung: „Gott schuf die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich. Dann segnete Gott sie, indem er zu ihnen sprach: »Seid fruchtbar, vermehrt euch, füllt die Erde und bemächtigt euch ihrer.« So geschah es. Und Gott sah alles, was er gemacht hatte: »Sieh hin, es ist sehr gut.« Es wurde Abend, es wurde Morgen: der sechste Tag.“
Und am 7. Tag war Ruhe. Ein Tag, um zu bedenken, auf wen die Schöpfung zurückgeht. Ein Tag, um innezuhalten. Ein Tag, um sich immer wieder zu fragen: Sind wir der besonderen Verantwortung gerecht geworden? Werden wir ihr gerecht? Das Werk, „Die Grenzen des Wachstums“, das der Bildhauer Hermann Bigelmayr eigens für den KulturOrt Wintringer Kapelle geschaffen hat, lädt geradezu ein, den 7. Tag wieder in diesem Sinne ganz bewusst zu nutzen. Zum Nachfragen. Zum Nachdenken. Zum Innehalten und Vorausschauen.
Der evangelische Theologe Josef Jirasek las am 25. September 2011 am KulturOrt Wintringer Kapelle Texte, die den Schöpfungsauftrag zum Inhalt haben. Eine Musik-Performance versuchte unter dem Titel „Wachsen“ die Lesung zu spiegeln und diesen Prozess in komprimierter Form spürbar zu machen.
Geoffroy Muller | Performancekünstler | Trompete | Stimme
Hartmut Oßwald | Saxophone | Bassklarinette | Performance
Gelesene Texte
Eine Geschichte aus dem Talmud und Fragen an uns Als Gott Himmel und Erde geschaffen hat, waren ihm beide gleich lieb. Während die Himmel sangen und Gottes Ehre zu rühmen wussten, weinte die Erde. „Hast du die Erde weinen hören? Hast du die toten Fische vergessen? War dir der alte Baum im Weg? Sind dir die Vögel ausgeblieben? Hast du die Erde weinen hören??“ Drei Gründe gab die Erde an für ihr Weinen: „Mich“, sagte sie, „hältst du fern von dir während die Himmel in deiner Nähe sind und sich am Glanz deiner Herrlichkeit freuen. Bist du die Erde trösten gekommen als ihr Gewalt angetan wurde? Hast du mitgegrölt und die Beute berechnet? Hast du gesehen wie schön ihr altes Gesicht voller Schrunden ist? Hast du allen gezeigt wie sie glänzt von der Nähe Gottes? Bist du die Erde trösten gekommen?“ „Meine Speise“, sagte die Erde, „gabst du in der Himmel Hand während die Himmel von deinem Tisch gespeist werden. Hast du gehört wie die Erde klagt? Hast du die Erde sprechen hören? Hast du die Sprache der erde verstanden? Hast du den Lügen der himmlischen Todfreien gelauscht? Hast du die Trauer der Erde geteilt?“
Jörg Zink
Die letzten sieben Tage der Schöpfung
Am Morgen des ersten Tages ... beschloss der Mensch, frei zu sein und gut, schön und glücklich. Nicht mehr Ebenbild eines Gottes, sondern ein Mensch. Und weil er etwas glauben musste, glaubte er an die Freiheit und an das Glück, an Zahlen und Mengen, an die Börse und den Fortschritt, an die Planung und seine Sicherheit. Denn zu seiner Sicherheit hatte er den Grund zu seinen Füßen gefüllt mit Raketen und Atomsprengköpfen.
Am zweiten Tage starben die Fische in den Industriegewässern, die Vögel am Pulver aus der chemischen Fabrik, das den Raupen bestimmt war, die Feldhasen an den Bleiwolken von der Straße, die Schoßhunde an der schönen roten Farbe der Wurst, die Heringe am Öl auf dem Meer und an dem Müll auf dem Grunde des Ozeans. Denn der Müll war aktiv.
Am dritten Tage verdorrte das Gras auf den Feldern und das Laub auf den Bäumen, das Moos an den Felsen und die Blumen in den Gärten. Denn der Mensch machte das Wetter selbst und verteilte den Regen nach genauem Plan. Es war nur ein kleiner Fehler in dem Rechner, der den Regen verteilte. Als sie den Fehler fanden, lagen die Lastkähne auf dem trockenen Grund des schönen Rheins.
Am vierten Tage gingen viele Milliarden Menschen zugrunde. Die einen an den Krankheiten, die der Mensch gezüchtet hatte, denn einer hatte vergessen, die Behälter zu schließen, die für den nächsten Krieg bereitstanden. Und ihre Medikamente halfen nichts. Die hatten zu lange schon wirken müssen in Hautcremes und Schweinelendchen. Die anderen starben am Hunger, weil etliche von ihnen den Schlüssel zu den Getreidesilos versteckt hatten. Und sie fluchten Gott, der ihnen doch das Glück schuldig war. Es war doch der liebe Gott!
Am fünften Tage drückten die letzten Menschen den roten Knopf, denn sie fühlten sich bedroht. Feuer hüllte den Erdball ein, die Berge brannten, die Meere verdampften, und die Betonskelette in den Städten standen schwarz und rauchten. Und die Engel im Himmel sahen, wie der blaue Planet rot wurde, dann schmutzig braun und schließlich aschgrau. Und sie unterbrachen ihren Gesang für zehn Minuten.
Am sechsten Tage ging das Licht aus. Staub und Asche verhüllten die Sonne, den Mond und die Sterne. Und die letzte Küchenschabe, die in einem Raketenbunker überlebt hatte, ging zugrunde an der übermäßigen Wärme, die ihr gar nicht gut bekam.
Am siebten Tage war Ruhe. Endlich.
Epilog von Josef Jirasek
Ich war nicht auf das vorbereitet, was da geschah. Gut, meine Texte standen im Vorhinein fest; abgesprochen hatten wir darüber hinaus aber nur den Ablauf, wann wer seinen Einsatz habe. Mehr nicht. Und dann wurde ich selbst zum Zuschauer der Veranstaltung, die ich mit verantwortete.
Wir wollten die Grenzen des Wachstums mit theologischen Texten und einer Musikperformance aufzeigen. Die Gefahren ungehemmten Missbrauchs der Ressourcen unseres Planeten benennen. Aber wir wollten dort nicht stehenbleiben, vielmehr mit einem Ausblick der Hoffnung enden. Der Hoffnung auf die Selbstgestaltungskräfte der Natur, aber auch der Einsicht zukünftiger Generationen in die Notwendigkeit ökologischen Handelns. Meine Texte sollten das widerspiegeln.
Dorothee Sölles Gedicht „Eine Geschichte aus dem Talmud und Fragen an uns“ drückt im ersten Teil die Verzweiflung und Wut am Zustand der irdischen Schöpfung aus.
Der altbekannte Text von Jörg Zink „Die letzten sieben Tage der Schöpfung“ warnt eindringlich vor ungebremstem Wachstum, das die Zukunft außer Acht lässt und damit unsere Verantwortung für die späteren Generationen.
Die Sätze des libanesisch-amerikanischen Dichters Khalil Gibran (1883–1931) aus seinem Buch „Der Prophet“ und die damit verknüpften indianischen Weisheitstexte greifen diese, über die Gegenwart hinausreichende Verantwortung auf. Ich habe sie aus diesem Grund mit dem zweiten Teil des Sölle-Gedichts ans Ende der Lesung gestellt. Als Hoffnungszeichen.
Doch die gesprochenen Worte wurden erst durch die Musikperformance lebendig. Das Stimmengewirr aus unterschiedlichsten, nicht mehr zu identifizierenden Sprachen erinnerte an den vergeblichen Versuch Gott gleich sein zu wollen: Dem größenwahnsinnigen Plan in Babel, einen Turm bis zum Himmel zu bauen, wurde genau damit Einhalt geboten. Durch die Stimmenverwirrung, die das Chaos und das Ende des Turmbaus einleitete.
Die Improvisationen mit Instrument und die korrespondierenden Geräusche auf den Grashalmen klangen wie Schreie der leidenden Schöpfung. Mir hat es auch im weiteren Verlauf mehrfach Schauer über den Rücken gejagt. Dann die leisen Töne am Ende und der symbolische Kreis: Mir wird bewusst, was Schöpfungsverantwortung und solidarisches Handeln bedeuten. Dass mit dem letzten Ton und in die Stille hinein ein Hund fröhlich schwänzelnd in die Kapelle läuft, unterstreicht die Aussagen. Ganz unfreiwillig, denn das war von Niemandem geplant.
Geoffroy und Hartmut, danke für dieses eindrucksvolle Erlebnis!