LICHT
Ein Film von Valérie Hendrich2014
Das milde, gefährliche, traumhafte, lebendige, tote, klare, diesige, heiße, heftige, kahle, plötzliche, dunkle, frühlingshafte, einfallende, nach außen dringende, gerade, schräge, sinnliche, bezwingende, begrenzende, giftige, beruhigende, helle, Licht. Das Licht.
Ingmar Bergmann
Reflexionen zum Werk
Von Peter Michael LuppIm Rahmen einer künstlerischen Auseinandersetzung mit den heute noch erhaltenen Resten der spätgotischen Prioratskirche von Wintringen, hat sich die französische Künstlerin Valérie Hendrich mittels einer filmischen Arbeit mit dem Phänomen des Lichtes bzw. der Lichtführung beschäftigt. Die Arbeit ist ein ortsbezogener virtueller Beitrag. Er entstand im Kontext mit den Leitgedanken des Ortes.
Ohne Licht kein Leben
Entlang der füllenden Kraft des Sonnenlichtes lässt Valérie Hendrich die Kamera zunächst zwischen Himmel und Erde über die nährende Natur der alten Kulturlandschaft streifen, in die vor etwa 1000 Jahre ein bis in die Gegenwart glimmender Kulturort – eine Prioratskirche – eingebettet wurde.
Die Suchbewegung findet einen Halt in den Resten des Chors der spätgotischen Kirche. Weit geöffnet verschafft sich das Objektiv zunehmend Raum, tastet sich beständig zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem voran, als wolle es das Unsichtbare ins Sichtbar transformieren. Behutsam fängt sich die Linse Lichtströmungen, als wären sie zeitübergreifende Bewegungen. Die durchwirkende Kraft des Lichtes erleichtert Übergänge. Der Ort scheint durch das einwirkende Licht neu zu entstehen – gewinnt an Volumen – und löst sich gleichfalls auf. Der Raum mit seiner Hülle – fragmentarisches Mauerwerk – als Rand der irdischen Dinge, tränkt sich mit überlebensnotwendiger Nahrung: Licht.
Immer wieder überfüllt das Licht, löst auf in ein diffuses – wohin? Lux – das ausströmende Licht – hat die Kraft zur Blendung und Orientierung zugleich.
Das ICH zum L ICH T
Bedächtig lenkt Valérie Hendrich ihre Lichtspur über Boden und Wände, unaufdringlich und dennoch wie magnetisch angezogen nach Osten. Genau hier wird das Bauwerk inspiriert von der Morgensonne aus dem Osten – dem Orient. Aus der morgendlichen Lichtströmung schöpfen Menschen seit jeher Orientierung, Lebenskraft und Hoffnung auf Gott. Schon in frühen Zeiten werden daher Kirchenbauten mit der Apsis nach Osten ausgerichtet, so als wäre man sich ohne jeglichen Zweifel bewusst, dass der Reflex des Sonnenstrahls aus dem Osten jeden Morgen das ICH der Lebewesen des Erdenkreises im eigenen Gewahrsein bestimmt und nährt.
Doch Sonnenlicht ist – ebenso flüchtig, wie irdisches Leben – verändert, schafft augenblicklich immer neue Perspektiven und misst gar die Zeit… die stetig flieht. Fast scheint es, die Überblendungen des Films wollten das Geheimnis der Lichtkraft lüften, denn diese spendet Kraft und Energie – wie bei jedem Leben – nur im Fließen und der richtigen Dosis.
Und so fließt an jenem Kristallisationspunkt an der Ostwand des alten Kirchenraumes das ICH zum L ICH T auf der Spur von Kraft. Energie aus der heilsam Leben quillt: Ohne Licht kein Leben.
In der Romantik war das „ICH“ ja noch ganz der Autorität der Kirche untergeordnet und die irdische Welt wurde als zu überwindendes Übel verachtet. Der gotische Mensch hingegen konnte sich – in der mystischen Versenkung bei der Betrachtung des Lichts der gotischen Kirchenräume auch als Individuum erfahren, ein Individuum, das Teil von Gottes Schöpfung ist und selbsttätig einen direkten Zugang zum Göttlichen herstellen kann. Immaterielles Licht, metaphysische Phänomene, der Mensch vor der Natur sehe ich daher als Thema für die Kapelle.
Valérie Hendrich und Beate Garmer, 2014
Lebendiges Naturlicht
Subtil spielt der Film mit den Ursprüngen der Lichttheologie der Gotik, in deren Kontext sich auch im 15. Jh. ein Neubau der Prioratkirche von ihrem romanischen Vorgängerbau löste. Die Kameraführung fokussiert immer wieder auf die Kirchenfenster und verweist auf eine bedeutende Transformation, die sich in mittelalterlicher Architektur, etwa im 13. Jh., von der romanischen zur gotischen Baukunst vollzog. In jener Zeit führte die gegenseitige Befruchtung von bautechnischem Fortschritt einerseits und Lichttheologie und Lichtmystik andererseits zu einer architektonischen Revolution: Die steinerne Wand als Wesenselement des Bauens löste sich in farbige Lichtwände auf. Das einfallende irdische Licht wird durch die Lichtführung der Fenster zu göttlichem Licht transformiert und bewirkt so auch die „Seele des Bauwerks“. Licht war in der Architektur unentbehrliches Werkmaterial. Die besondere Rolle der Lichtsymbolik – führt schließlich in der Baukunst zu Höhepunkten, zu „Kathedralen aus Licht“ wie beispielsweise die Kathedrale von Metz.
Für die Lichttheologie der Gotik steht eine „Lichtfigur“, Abt Suger von St. Denis („…Wie er die Fenster an der Fassade seiner Kathedrale erweitert hat, damit der Raum, der nach alter Weise etwas dunkel war, in reicherem Licht erglänze…“ Aus der Vita des Bischofs Hugo, Chronik der Bischöfe von Auxerre um 1180).
Für den Abt konnte der Kirchenraum nur aus seiner Mitte heraus erstrahlen. Ein Ort an dem sich natürliches Licht mit dem göttlichen Licht vermählt. Nur das lebendige Naturlicht hat in Sugers Lichtarchitektur Bestand. So auch bei dem (weitgehenden) Neubau der Prioratskirche der Prämonstratenser von Wintringen im 15. Jh. Die Lichtführung durch die neuen, weitaus höheren und spitzbogigen Maßwerkfenster im Gefüge des Bauwerks spielte für den Baumeister eine Rolle, die das Funktionale weit überstieg.
Überstrahlung
Dass der Film – wenn auch unbeabsichtigt – eine Schnittlänge im „Lichtnebel“ die Umrisse des „gebrochenen Weizenhalms“ des Bildhauers Hermann Bigelmayr erahnen lässt, veranlasst mich an die Botschaft seiner Installation „Die Grenzen des Wachstums“ anzuknüpfen. So rufen Film und Thema wohl auch unterschwellig die Bedrohung der Erde durch die Unterschätzung der Kraft des Sonnenlichtes auf. Der Klimawandel rückt vor das geistige Auge: durch die Konzentration menschlich verursachter Schadstoffe in der Atmosphäre, wird die schützende Schicht der Erde – die Biosphäre – sukzessive zerstört. Damit wird Sonnenkraft ungewollt zerstörerisch, „überbestrahlt“, führt zum Treibhauseffekt. Der Erdenkreis erwärmt ungesund, treibt das Klima weltweit in die Höhe, ruft nach Überlebenskunst!
Impressum Film
LICHT
Ein Film von Valérie Hendrich
Gefördert durch Saarland Medien GmbH und mit freundlicher Unterstützung des Regionalverbandes Saarbrücken
Nach einer Idee von Valérie Hendrich
Konzept in Zusammenarbeit mit Beate Garmer und im Austausch mit Peter Michael Lupp, KulturOrt Wintringer Kapelle
Regie: Valérie Hendrich
Schnitt: Christian Schmidt
Kamera: Stefan Kudzinski, Valérie Hendrich
Musik: Chris Zabriskie
Grafik und Farbkorrektur: Philipp Majer, Christian Schmidt
Ein Beitrag im Rahmen des Modellprojektes KulturOrt Wintringer Kapelle (extra muros). Ein Ort der Kunst und Kultur im Regionalverband Saarbrücken.
Biographie
Valérie Hendrich, geboren 1973 in Forbach
1993–1994 | Studium der Freien Kunst an der école des beaux arts, Mulhouse bei Prof. Tual |
1995–1999 | Studium der Freien Kunst/Plastik bei Prof. Wolfgang Nestler und Prof. Maria Nordman an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken |
1999 | Diplom und Meisterschülerin von Prof. Wolfgang Nestler |
2011 | Atelier im Schloss Falkenhorst, Kleinblittersdorf. Lebt und arbeitet in Frankreich und Deutschland |
2013–2014 | Atelier am Rathausplatz Saarbrücken |
Preise/Auszeichnungen/Stipendien
2011 | Filmförderung für den Kurzfilm „Streiflichter“, Saarland Medien GmbH, Saarbrücken |
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)
2013 | Schöne Künste #7, Eine nächtliche Route durch Saarbrücker Werkstätten, Juli 2013 |
2012 | Zeichenbüffet, Kultur- und Werkhofs Nauwieser Neunzehn, Juni 2013 |
2011 | 1001 Zeichnung reloaded in den Schaufenstern, 6.–20. November |
2011 | 1001 Zeichnung reloaded, Zeichenmarathon zum Mitmachen. 24.–25. September |
2011 | loopingstar Videofestival, Studioblau des Saarländischen Künstlerhauses, Saarbrücken |
2011 | „double star“ Videoinstallation, Kabinett Antik, St. Johanner Markt 18, Saarbrücken |
2010 | „1001 Zeichnung – Zeichenmarathon“, Galerie N.N., Nauwieser Neunzehn, Saarbrücken |
2010 | „Das Blaue Band. Gespiegelter Fluss – Reflexionen über die Saar”, gemeinsam mit Designbüro Harald Hullmann & Jörg Gimmler, Saarufer, Saarbrücken, Völklingen, Sarreguemines, Hanweiler und Grosbliederstroff |
2010 | „angezettelt!” 25 Jahre Saarländisches Künstlerhaus – Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken |
2008 | „Gosz Rausch 3” Do you believe in Gosz, Museum Gosz, Saarbrücken |
2008 | „SEITE B”, Museum Gosz, Saarbrücken |
2007 | „Gosz Rausch 2” 10 x 15, Galerie Gosz, Saarbrücken |
2007 | „100 Bilder für Monschau”, Ein Kunstprojekt von Wolfgang Nestler, Monschau |
2006 | „Gosz Rausch“ Weihnachten in der Galerie Gosz, Galerie Gosz, Saarbrücken |
2004 | „kopf treibt blüte”, schaubar ausstellungsraum für kunst, architektur, design, saarbrücken |
2003 | Tischgalerie, Institut für aktuelle Kunst, Saarlouis |
2002 | Tischgalerie, Handwerkergasse, Völklingen |
2002 | „zuhause”, Wohnraumprojekt, Saarbrücken zusammen mit Nina Jäger |
2000 | Städtisches Museum, Gelsenkirchen |
1999 | „projekt hügel”, Krakòv (P) 1999 Kunsthalle, Überherrn |
1997 | Hindenburgturm, Riegelsberg |
1997 | Chun Chon galerie, Seoul |
1997 | Kunstverein Offenburg/Mittelbaden |
1997 | Museum Katharinenhof, Kranenburg |
1996 | „Reflexionen”, Historisches Museum Saar Bibliographie |
Veröffentlichungen
2010 | Kunstlexikon Saar, Laboratorium, Institut für aktuelle Kunst im Saarland |
2010 | Das blaue Band – Die Saarachse, Saarland Ministerium für Umwelt, Energie und Verkehr |
2010 | „angezettelt!” 25 Jahre Saarländisches Künstlerhaus – Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken |
2006 | „sichtbar machen“, Staatliche Kunstschulen im Saarland 1924-2004 Verlag St. Johann, Saarbrücken |
2002 | „zuhause“, Wohnraumprojekt, Hg. Nina Jäger Saarbrücken |
2002 | „Form zeigt sich“, Hochschule der Bildenden Künste Saar, Atelier Handwerkergasse im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Monschau |
1999 | „diplom `99“, Hg. Walli Höfinger, Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken |
1999 | „Projekt Hügel“, Lipnica Murowana/Krakòv, Hg. saoz, Krakòv (P) |
1999 | „Wiersze“, Malgorzata Jurczak/Valérie Hendrich, Hg. saoz, Krakòv (P) |
1999/ | „Der Freiheit ein Denkmal“, Hg. Kunstverein Offenburg/Mittelbaden |
1997 | „Hochschule der Bildenden Künste Saar Saarbrücken“, Verlag St. Johann GmbH, Saarbrücken |